cantus firmus Wetterau e.V.

Funktionales Stimmtraining

Anne Ciba
Aus Lied und Chor Nr. 8, August 1992 , Kommentar

Einführung

Ein Forschungsprojekt am Institut für Arbeitswissenschaft der TH Darmstadt befaßt sich seit 1980 mit dem Arbeitsaufwand des Kunstgesangs. Prof. Eugen Rabine und Gisela Rohmert entwickelten in Zusammenarbeit mit Wissenschaftlern verschiedener Disziplinen eine Methode der Gesangspädagogik, die auf den Erkenntnissen dieser Forschung aufbaut und die Möglichkeit bietet, das funktionale, d.h. das "richtig funktionierende, gesunde" Singen zu erlernen. Dabei werden Stimmübungen mit Körperbewegungen und Wahrnehmungstraining gekoppelt.

Gedacht ist diese Methode für den Einzelunterricht und für Menschen jeden Alters. Ihre Betonung des körperlich gesunden, funktionalen Bewegungsablaufes und die stets damit verknüpfte Atemschulung machen sie auch für die Arbeit in Chören sehr wertvoll. Man kann sozusagen mit dieser Art Stimmbildung "nichts verderben", sondern mit relativ geringem Aufwand viel erreichen. Allerdings läßt sich das Funktionale Stimmtraining nur sehr schwer zweidimensional (auf Papier) beschreiben, da das Hören und Sehen, das Miterleben wichtige Faktoren sind.

Die Teilfunktionen der Stimmfunktion

Um die Wirkungsweise des Funktionalen Stimmtrainings zu verstehen, ist es notwendig, einen gewissen Einblick in die Vorgänge zu haben, die sich während des Singens (und auch sonst) in unserem Körper abspielen. Betrachten wir also - möglichst knapp - die drei Teilfunktionen der Stimmfunktion: Atmung, Kehlkopf und Vokaltrakt.

Die Atmung

Anatomie

Der Atemapparat besteht aus Lunge, Bronchien und Luftröhre. Die Hauptaufgabe der Atmung ist der lebensnotwendige Gasaustausch, die Versorgung des Blutes mit Sauerstoff. Sekundär ist die Aufgabe der Lauterzeugung.

Die Luftröhre ist ein ca. 12 cm langer Schlauch, der den Rachenraum mit der Lunge verbindet und sich am unteren Ende in die Bronchien aufspaltet, welche sich weiter verästeln, um die Luft besser verteilen zu können. Die Lungen sind paarig angeordnete, schwammige Organe, die beim Einatmen gedehnt werden und sich beim Ausatmen durch die Rückstellkraft des elastischen Materials passiv wieder zusammenziehen, vergleichbar einem Luftballon. Jeder Lungenflügel ruht in einem Sack, dem Lungenfell, welches, nur durch den Pleuraspalt getrennt, am Brustfell anliegt. Dieses wiederum ist mit dem Zwerchfell und der Innenseite der Brustwand verwachsen. Das Zwerchfell ist ein kuppelförmiger Muskel, der Brust- und Bauchhöhle voneinander trennt. Es ist der wichtigste Einatemmuskel, denn es kann das Volumen der Brusthöhle um bis zu 80% vergrößern.

Funktion

Wie funktioniert nun eigentlich die Atmung? Das Gehirn sendet einen Impuls ("Sauerstoffmangel!") über die Nerven an die Einatmungsmuskulatur. Das Zwerchfell kontrahiert, flacht dabei seine Kuppel ab und drängt die Baucheingeweide nach unten. Gleichzeitig heben die äußeren Zwischenrippenmuskeln die Rippen an. Dadurch erfährt der Brustkorb eine Erweiterung nach allen Seiten. Die Lungen werden durch Adhäsionskräfte und den luftleeren Raum des Pleuraspalts gezwungen, diese Volumenänderung nachzuvollziehen, und erweitern sich ebenfalls, wodurch in ihnen ein Unterdruck entsteht, der durch die einströmende Atemluft ausgeglichen wird. Die ruhige Ausatmung ist ein weitgehend passiver Vorgang, bei dem der Brustkorb durch elastische Rückstellkräfte in seine Ausgangsstellung zurückgeführt wird.

Funktionsschema der Atmung

Der Kehlkopf

Anatomie

Der Kehlkopf ist am Eingang der Luftröhre beweglich zwischen Muskeln und Bändern aufgehängt. Er setzt sich im wesentlichen aus drei Knorpeln zusammen: Ringknorpel, Schildknorpel und Kehldeckel. Seine Hauptaufgabe ist die Ventilfunktion, d.h. Öffnung für die Atmung und Schließung z.B. zum Schutz vor Fremdkörpern. Beim Schlucken legt sich der Kehldeckel über den Kehlkopf und verhindert somit, daß Nahrungsteile in die Luftröhre gelangen. Ringknorpel und Schildknorpel sind beweglich miteinander verbunden. Im Kehlkopf sind waagerecht die beiden Stimmlippen ausgespannt: An der Spitze des Schildknorpels (Adamsapfel) sind sie zusammen angewachsen. Die beiden anderen Enden sind jeweils mit einem der Stellknorpel verbunden, die beweglich auf dem hinteren Höcker des Ringknorpels sitzen. Diese Stellknorpel sind nun in der Lage, durch ihre Bewegungen die Stimmlippen zu öffnen oder zu schließen. Die oberen inneren Anteile der Stimmlippen sind die Stimmbänder, die Ritze zwischen ihnen wird Stimmritze oder Glottis genannt.

Funktion

Wird nun vorne der Schildknorpel in Richtung Ringknorpel gekippt, so vergrößert sich der Abstand zwischen Adamsapfel und Stellknorpeln. Das bedeutet: Die Stimmbänder werden gedehnt und gespannt, der Ton wird höher. Der Muskel, der das bewerkstelligt, sitzt außen am Kehlkopf und heißt "musculus cricothyreoideus" (Ring-Schildknorpel-Muskel). Der zweite wichtige Kehlkopfmuskel liegt in den Stimmlippen und heißt "musculus vocalis" (Stimm-Muskel). Er ist für die Verdickung der Stimmbänder und somit für die Lautstärkeregelung zuständig.

Funktionsschema des Kehlkopfs

Unterdruckfunktion

Über den Stimmlippen liegen nochmals zwei Gewebefalten, die Taschenfalten, auch "falsche Stimmlippen" genannt. Die Stimmlippen und die Taschenfalten bilden ein Ventilsystem für die Luftröhre. Dieses Ventilsystem ist eng an die Atemmuskulatur gekoppelt. Die Stimmlippen arbeiten mit den Einatemmuskeln zusammen und schließen sich nach großer Einatmung reflexmäßig, um den Schultergürtel für Armaktivitäten beim Heben des eigenen Körpers zu stabilisieren: Klimmzug, Hangeln, Klettern usw. (Unterdruckfunktion). Für das Singen sind daher die große Einatmung und die Beibehaltung der Einatemtendenz von grundlegender Bedeutung; sie können durch gezielte Armbewegungen gefördert werden.

Überdruckfunktion

Mit den Ausatemmuskeln sind die Taschenfalten verbunden. Sie werden bei forcierter Ausatmung - mangels eigener Kraft - von anderen Muskeln geschlossen und stellen in der Lunge einen Überdruck her, der den Rumpf zur Kraftanwendung vom Körper weg stabilisiert: Heben, Stoßen, Schlagen, Treten usw. Diese Überdruckfunktion und das Schließen der Taschenfalten sind zum Singen äußerst ungünstig, da der ganze Körper in eine gespannte, festgehaltene Lage gebracht wird und die Beweglichkeit - besonders im Hals- und Rachenbereich - stark eingeschränkt ist (Heben Sie mal ein Klavier, und versuchen Sie, dabei zu singen!)

Stimmfunktion

Wie entsteht nun also der Ton? Die aus der Lunge ausströmende Luft versetzt die Stimmlippen, sofern sie vorher einander angenähert wurden, in Schwingung und erzeugt so einen Klang. Das Singen geschieht also bei der Ausatmung, erfordert demnach einen gewissen Überdruck unterhalb der Stimmlippen. Aus dem oben Gesagten wissen wir aber, daß für deren reflexmäßige Schließung sowie für die Flexibilität des ganzen Apparates die Unterdruckfunktion von großer Wichtigkeit ist. Machen wir uns einmal klar: Im Kehlkopf brauchen wir die Unterdruckfunktion, für die Atmung und Tonerzeugung brauchen wir jedoch einen gewissen Überdruck (Ausatmung). Es kommt also darauf an, während des Singens den Brustkorb weit und beweglich zu halten - wie bei der Einatmung (Einatemtendenz) -, um so eine Balance zwischen Ein- und Ausatmung herzustellen. Das Überwiegen der Überdruckfunktion würde den Kehlkopf festhalten, die Tätigkeit der inneren Kehlkopfmuskeln stören und so eine gesunde Stimmfunktion unmöglich machen.

Der Vokaltrakt

Der Vokaltrakt umfaßt den gesamten Rachen- und Mundraum von den Stimmlippen an aufwärts. Seine Hauptaufgabe ist der Transport von Nahrung und Atemluft. Die sekundäre Funktion ist die der Resonanz und Artikulation.

Anatomie und Funktion

Der im Kehlkopf entstandene Primärklang erfährt im Vokaltrakt eine Veränderung durch Verstärkung oder Abdämpfung einzelner Frequenzen. Größe und Form des Vokaltraktes sind sehr veränderlich: Die Kehlkopfstellung bestimmt seine Länge, die Beweglichkeit von Mundraum (Zunge, Kiefer, Lippen) und Rachenraum beeinflußt seine Form. Für den Gesang sollte der Vokaltrakt möglichst groß und weit sein, das bedeutet: elastisch tiefgestellter Kehlkopf, entspannte Rachenringmuskulatur, öffnungsbereiter Unterkiefer und bewegliche Zunge. Soll dieses Ideal durch willentliche Einschaltung von Muskeln erreicht werden, führt dies zu Verspannungen und bewirkt eher das Gegenteil. Der beste Zugang zur optimalen Einstellung des Vokaltrakts führt über die Wahrnehmung, die im Laufe des Trainings geschult und sensibilisiert wird, so daß sie regulierend wirken kann: Oft genügt schon das Wahrnehmen einer Spannung, um sie zu lösen.

Eine erste Zusammenfassung

Fassen wir noch einmal zusammen: Die Stimmfunktion ist eine Systemeinheit bestehend aus

Diese drei Teilfunktionen stehen in Wechselwirkung zueinander. Ziel der Arbeit ist es, die drei Teilsysteme optimal aufeinander abzustimmen.

Begründung des Funktionalen Stimmtrainings

Wer sich die bisher genannten anatomischen Gegebenheiten vor Augen führt, wird verstehen, daß die menschliche Stimme ein recht kompliziertes und empfindliches System ist, das sich nicht nur auf ein Organ, den Kehlkopf, beschränken läßt. Schon im engeren Umfeld, dem Rachen- und Mundraum existieren vielfältige Abhängigkeiten. Berücksichtigen wir noch die Tatsache, daß alle Atemmuskeln mit Ausnahme des Zwerchfells gleichzeitig Körperhaltungs- und Bewegungsmuskeln sind, so wird vielleicht noch eher klar, welche Zusammenhänge gerade zwischen Bewegung und Stimme bestehen: Jede scheinbar noch so unbedeutende Bewegung (z.B. das Drehen der Daumen) hat Auswirkungen bis hinein in den Kehlkopf.

Beispielsweise werden Muskelaktivitäten von Laien- und von Berufssängern bewußt eingesetzt, um Einfluß auf die Stimme zu nehmen (man denke nur an die Anweisungen "In die Maske singen!", "Lächeln!", "Zwerchfell unten halten!", "Po Zusammenkneifen!" u.ä.). Diese Maßnahmen können zwar vorübergehend und für eine begrenzte Tonlage möglicherweise den gewünschten Klang herstellen (lauter, höher, metallischer), verhindern aber immer ein gesundes Funktionieren der Stimme insgesamt sowie die Entwicklung des ihr eigenen Timbres und führen schließlich zu vorzeitiger Ermüdung, zu Schrillheit oder Rauheit der Stimme oder sogar zu Stimmschäden.

Die Orientierung an einem bestimmten "Idealklang" birgt immer die Gefahr von Einseitigkeit. Das Funktionale Stimmtraining geht nicht von einer solchen ästhetischen Prämisse, sondern von den physiologischen und funktionalen Gegebenheiten der menschlichen Stimme aus, die von Wissenschaftlern verschiedenster Art in jahrelanger Arbeit eingehend erforscht wurden. Dabei wurde herausgefunden, daß Kunstgesang für den Körper Schwerarbeit darstellt, und es wurden Methoden entwickelt, diese Arbeit so effektiv wie möglich zu machen.

Die Methode

Zusammenhänge erleben

Die Vorgehensweise des Funktionalen Stimmtrainings ist etwa folgende: Zunächst werden die Abhängigkeiten zwischen Körperhaltung, Bewegung und Stimmfunktion anhand von Übungen erlebbar gemacht. Beispielsweise singt man eine einfache Tonfolge mehrmals - ohne Armhebung und mit Armhebung - und vergleicht die Empfindung beider Versionen. Diese erste Trainingsstufe konzentriert sich auf die Koordination aller Stimmuskeln mit den Muskeln der Körperbalance, d.h. Koordination der Stimme mit den Einatemmuskeln, den Schließmuskeln der Stimmlippen und der Kehlkopfsenkermuskulatur. Die genannten Bereiche zu stimulieren ist die Aufgabe von zunächst großen Bewegungen wie Klimmzug, Windmühle, Arme seitlich heben u.ä.

Bei Körperübungen gibt es fünf große Anwendungsziele:

  1. Förderung des rhythmischen Gefühls
  2. Tonusaufbau der beteiligten Muskeln (Atmung, Kehlkopf, Vokaltrakt)
  3. Feinabstimmung und Unabhängigkeit der beteiligten Muskelaktivitäten
  4. Ausschaltung störender Aktivitäten
  5. "Neuprogrammierung" von Bewegungsmustern

Wahrnehmung

Dabei wird immer angestrebt, daß optimale Voraussetzungen zum Singen sich einstellen, ohne daß wir etwas einstellen. Beispiel: Ein Klimmzug beim Einatmen oder auch noch beim Singen bewirkt, daß der Brustkorb sich weitet, die Einatemtendenz beibehalten wird und die Bauchmuskeln nicht pressen können. Wird zusätzlich noch der Unterkiefer geöffnet und auf den Vokal "A" eingeatmet, so ergeben sich wie von selbst der elastisch tiefgestellte Kehlkopf und der weite Vokaltrakt. Entscheidend ist dabei, daß der Schüler/die Schülerin mit der Zeit die Eigenwahrnehmung schult und lernt, sich daran zu orientieren: Nur der Klang, bei dessen Erzeugung wir uns wohl fühlen, ist funktional und klingt gleichzeitig gut. Wurde ein funktionales Gefühl entwickelt, so kann es bald in allen Stimmparametern zum Tragen kommen: laut-leise, hoch-tief, langsam-schnell u.s.w.

Vokale

Das Funktionale Stimmtraining geht zunächst vom Vokal "A" aus, der für die sängerische Form des Vokaltraktes die beste Voraussetzung bietet. Es kommen die Vokale "O" und "U" hinzu, bei denen hauptsächlich die Lippenrundung verlangt ist. Diese Vokale werden nicht nur für den Gesang, sondern auch für die Einatmung benutzt. Später folgen die Zungenvokale "E" und "I". Die Bildung der Konsonanten verlangt ein hohes Maß an Beweglichkeit; sie sind Gegenstand späterer Trainigsphasen.

Differenzierung

Der Schwerpunkt des fortgeschrittenen Übungsstadiums liegt auf der Differenzierung: Das rhythmische Zusammenspiel von Kehlkopf- und Atemmuskeln soll nun unabhängig von Körperhaltung und -bewegung vor sich gehen.

Dies ist etwa für Opernsänger und -sängerinnen sehr wichtig, die ihre Bewegungs- und Mimikmuskulatur für den schauspielerischen Ausdruck brauchen, die aber leider oftmals gezwungen sind, eine unpassende Haltung oder Mimik anzunehmen, weil sie sonst beispielsweise das "hohe C" nicht singen können. Auch auf der Konzertbühne macht es einen überzeugenderen Eindruck, wenn der Gesichtsausdruck des/der Vortragenden von der Interpretation des Stückes und nicht von Verspannungen bestimmt wird.

Aber nicht nur aus diesen Gründen ist das Erlernen der Unabhängigkeit so wichtig. Verdeutlichen wir uns nochmals, wie fein und empfindlich der Kehlkopf aufgebaut ist - handelt es sich doch stets um Millimeterarbeit - so wird klar, daß die großen und groben Muskeln wie Rachenring-, Kau-, und Bauchmuskeln eine solche Feinregulierung nur allzu leicht stören können. Da wir jedoch fast alle liebgewordene Gewohnheiten - auch beim Singen - haben, gilt es, ungünstige Verhaltensweisen allmählich durch günstigere zu ersetzen. So werden den großen Muskeln ihnen angemessene Bewegungen aufgetragen, allerdings nur solche, die hilfreich für die Stimmfunktion sind. Dadurch wird den Kehlkopfmuskeln ihre Arbeit ermöglicht. Die Bauchmuskulatur etwa ist viel zu groß und undifferenziert, um den Luftdruck unterhalb der Stimmlippen richtig dosieren zu können. Sie wird aber oft übermäßig angespannt und verhindert so eine flexible Atmung. Die Bauchmuskeln sollten lediglich für den langsamen Ausgleich des Entspannungsdrucks sorgen, während die Zwischenrippenmuskeln für die Beibehaltung der Einatemtendenz und für kurzfristige Druckänderungen verantwortlich sind und die Stimmlippen selbst, die mit einer hochsensiblen Schleimhaut ausgerüstet sind, die Feinstregelung übernehmen.

Es ist also immer ein bewegliches Zusammenspiel der Muskeln gefragt, niemals ein starres Festhalten. Hat man schließlich die Unabhängigkeit der Stimmfunktion gelernt, so kann man auch wieder auf große Bewegungen verzichten; die großen Muskeln werden ihren kleineren Kollegen nicht mehr "ins Handwerk pfuschen". Dieses Ziel ist natürlich weit und wird schrittweise erreicht: von großen zu kleinen Bewegungen, in der Wahrnehmung von außen nach innen.

Wie sieht nun also das Idealbild funktionalen Singens aus?

Ziele

  1. Der Brustkorb ist geweitet und die Einatemtendenz wird beibehalten.
  2. Der Kehlkopf ist elastisch tiefgestellt.
  3. Der Vokaltrakt ist offen und beweglich.
  4. Störende Aktivitäten sind ausgeschaltet.
  5. Die Zunge ist beweglich.
  6. Alle beteiligten Muskeln sind kräftig und flexibel.
  7. Die/der Singende ist in der Lage, Lautstärke, Tonhöhe, Vokalfarbe, Artikulation u.s.w. unabhängig voneinander zu regulieren; die Stimmfunktion ist so unabhängig, daß Körperhaltung und -bewegung als Ausdrucksmittel genutzt werden können.

Hilfen

Das Erreichen dieser Ziele kann unterstützt werden z.B. durch :

zu 1. Seitliches Heben der Arme, Windmühle, Strecken, Klimmzug; Atmen auf "A"
zu 2. Lockeres, weites Öffnen des Mundes, leichtes Heben des Kopfes, Atmen auf "A"
zu 3. Alle Übungen mit Kieferöffnung und Lippenrundung, Glissandoübungen, Vokalwechsel
zu 4. Ausgewählte Bewegungen, z.B. Gehen, hohe Schritte, Auflegen eines Fingers auf den Mund
zu 5. Übungen mit Zungenbewegung: z.B. a-ä-a
zu 6. Fleißiges Üben, körperliches Training, besonders "Bruststimm"-Übungen: z.B. a-o-a
zu 7. Alle Arten von Übungen, die die unter 1.-6. genannten Voraussetzungen schaffen helfen; fortschreitend von großen zu kleinen Bewegungen, von Abhängigkeit zu Unabhängigkeit unter ständigem Wechsel der Parameter.

Die genannten Hinweise und Hilfen können und wollen nur Beispiele sein, die keinen Anspruch auf Vollständigkeit und generelle Anwendbarkeit erheben, denn natürlich richten sich Art und Umfang der Übungen ganz nach den individuellen Bedürfnissen des Schülers bzw. der Schülerin.

Lehrerpersönlichkeit

Hier kommen wir noch auf ein ganz wichtiges Thema zu sprechen - die funktionale Lehrerpersönlichkeit. Sie versteht sich keinesfalls als großes Vorbild, dem es möglichst ähnlich zu werden gilt, sondern ihre Aufgabe besteht vor allem im funktionalen Hören und Beobachten, im genauen Erkennen der psychischen und physischen Gegebenheiten und im einfühlsamen Hinführen auf eine physiologische Stimmfunktion. Dieser Weg führt immer nur über die Eigenwahrnehmung des Schülers/der Schülerin, denn es gilt der Grundsatz: Die optimalen physiologischen Bedingungen sind zugleich die optimalen akustischen Bedingungen.

Die optimalen physiologischen Bedingungen aber können nicht anders gefunden werden als über die Schulung und Sensibilisierung der Wahrnehmung besonders im Kehlkopfbereich, denn nur darauf kann man sich verlassen, wenn z.B. die Akustik eines Raumes ungewohnt ist.

Sängerformant

Die optimalen akustischen Bedingungen stellen sich ein, wenn die physiologischen Voraussetzungen in der oben beschriebenen Weise erfüllt sind. Dann kommt es auch zur Entstehung des sogenannten Sängerformanten - einer Verstärkung der Eigenresonanz des oberen Kehlkopfbereichs, die bei allen Menschen etwa bei 3OOO HZ liegt. Dieser Sängerformant verleiht der Stimme Tragfähigkeit und Schönheit, unabhängig von Tonhöhe und Lautstärke.

Das Funktionale Stimmtraining im Chor

Das Funktionale Stimmtraining ist als Methode für den Einzelunterricht konzipiert. Es basiert auf der Rückkoppelung Schüler - Lehrer und enthält als wichtiges Element die Fragen des Lehrers, die den Schüler bzw. die Schülerin immer wieder auf die Eigenempfindung zurückverweisen, ohne wertend zu sein. Dennoch eignet sich diese Stimmbildungsmethode auch für die Arbeit mit Chören, da wesentliche Bestandteile auch in der Gruppe erlernbar sind.

Diese Elemente seien hier noch einmal genannt:

Hat man das alles erreicht, so ist schon viel gewonnen: Das Singen wird weniger anstrengend, auch lange Proben können stimmlich durchgehalten werden, der Chorklang wird freier, runder, homogener.

Schließlich kann man auch im Chor die Eigenwahrnehmung der einzelnen Sängerinnen und Sänger fördern und durch ruhigere Klangübungen das Hören auf den Gesamtklang schulen. Wichtig ist allerdings besonders bei Gruppen der Hinweis, daß niemand sich körperlich überfordert, daß also auch erlaubt ist auszusetzen. Das verlangt ebenfalls schon gute Selbstwahrnehmung: Die Stimmbildnerin kann ja nicht jedes einzelne Chormitglied ständig sehen und hören. Die fortgeschrittene Trainingsstufe der differenzierten und beherrschten Stimmfunktion wird im Chor kaum zu erreichen sein, aber das kann chorische Stimmbildung wohl niemals leisten.

Zusammenfassung

Zusammenfassend könnte man sagen: Das Funktionale Stimmtraining ist eine gesangspädagogische Methode, die auf Ganzheitlichkeit hin angelegt ist, mithin den ganzen Menschen berücksichtigt. Auf wissenschaftlich fundierter Grundlage vermittelt sie die Fähigkeit zu singen, ohne dem Körper Gewalt anzutun und bringt so jede Stimme zu ihrer größtmöglichen Leistungsfähigkeit.

Literatur:

Gehendges, Friedrich. Kopieratlas Biologie:
Menschenkunde - Humangenetik.
Köln: Aulis Verlag Deubner, 1986.

Rohmert, Walter, Hg. Grundzüge des funktionalen Stimmtrainings.
Dokumentation Arbeitswissenschaft; Bd. 12.
4. unveränderte Auflage, Köln: O. Schmidt, 1987.


(c) 1996, Anne Ciba